Zur pädagogischen Definition für Schreib-, Lese- und Rechenprobleme bzw. Legasthenie und Dyskalkulie

Einheitliche allgemein gültige Definitionen, welche die verschiedenen Schreib-, Lese- oder Rechenprobleme ausreichend beschreiben würden, gibt es bis heute nicht.

Pädagogische Definition für Schreib-, Lese- und Rechenprobleme bzw. Legasthenie und Dyskalkulie:

„Ein legasthener/dyskalkuler Mensch, bei guter oder durchschnittlicher Intelligenz, nimmt seine Umwelt differenziert anders wahr, seine Aufmerksamkeit lässt, wenn er auf Symbole wie Buchstaben oder Zahlen trifft, nach, da er sie durch seine differenzierten Teilleistungen anders empfindet als nicht legasthene/dyskalkule Menschen. Dadurch ergeben sich Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens, Schreibens oder Rechnens.“ 

Dr. Astrid Kopp-Duller, 1995

Legasthenie ist wohl ein wesentlich umfassenderes, komplizierteres, komplexeres Gebiet als das Wort auszudrücken vermag.

„Legasthene und dyskalkule Menschen haben eine besondere Informationsverarbeitung und dadurch bedingt eine besondere Lernfähigkeit, welche an die pädagogisch-didaktische Interventionsebene hohe Anforderungen stellt.“

Dr. Astrid Kopp-Duller, 2005

Frau Dr. Schenk-Danzinger hat immerhin in ihrer Definition, die auch heute noch richtungsweisend ist, zusätzlich zu den Leseproblemen Schreibprobleme miteinbezogen, doch liegt auch bei genetisch bedingten Rechenproblemen die gleiche differente Wahrnehmung eines Menschen zu Grunde. Warum es sich einmal im Lese- oder/und Schreibbereich auswirkt, dann wieder im Rechenbereich, vermag wohl niemand mit Sicherheit zu sagen. Tatsache ist aber, dass alles, was für Kinder mit Legasthenie gilt, auch für jene mit Dyskalkulie gilt.

Die differente Aufmerksamkeit und differenten Funktionen oder Teilleistungen, sogenannte Sinneswahrnehmungsleistungen, lassen Fehler beim Schreiben, Lesen oder Rechnen entstehen.

“Der Name Legasthenie ist nicht sehr glücklich gewählt!“ oder “Legasthenie gibt es ja gar nicht“. Solche und noch andere eigenartige Aussprüche kann man da und dort immer wieder hören. Zumeist steckt lediglich Unwissenheit oder auch Hilflosigkeit gegenüber dem Problem, mit Betroffenen nicht erfolgreich umgehen zu können, dahinter.

Aber wie schon William Shakespeare in seinem weltberühmten Drama „Romeo und Julia“ sinngemäß sagte, „… wie immer die Rose auch heißen würde, es vermag nichts daran zu ändern, dass sie wundervoll duftet …“.

Tatsache ist, dass die Problematik existiert, dass es Menschen gibt, die das Schreiben, Lesen oder Rechnen, trotz ausreichender Intelligenz, nicht oder nur sehr langsam, mit größter Mühe, erlernen können. Wie man aber die Problematik benennt, ist tatsächlich eine andere Sache. Erleichternd für alle, die damit zu tun haben, wäre natürlich, wenn es einheitliche und allgemein gültige Definitionen geben würde.

Da die Verursachungen von und auch die Hilfestellungen bei Schreib-, Lese- oder Rechenproblemen unterschiedlich sein können, ist es angebracht, auch unterschiedliche Begriffe zu verwenden. So werden Schreib- und Leseprobleme, welche eine genetische Verursachung haben, als Legasthenie, erworbene als Lese-Rechtschreibschwäche bezeichnet. Gleichfalls werden Rechenprobleme, welche eine genetische Verursachung haben, als Dyskalkulie, erworbene als Rechenschwäche bezeichnet. Auf die notwendigen unterschiedlichen Förderansätze wird noch eingegangen werden.

Aber zurück zu Shakespeare. Mit Drama allerdings hat das Wort Legasthenie tatsächlich etwas gemein, aber auch mit der Rose. Legasthenie ist eine Gabe, kann aber auch ein ganz besonders schlimmer Klumpfuß für den Betroffenen und seine Umgebung sein.

Obwohl man schon seit zirka 120 Jahren wissenschaftlich diesem Phänomen auf den Grund zu gehen versucht, ist es aber leider immer noch für viel zu viele Menschen ein Wort, das in ihrem Sprachschatz nicht vorkommt bzw. von dem sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, auch wenn sie direkt oder indirekt davon betroffen sind.

Betrachtet man heute die Entwicklung der Forschung, so fällt auf, dass es ein ewiges Hin und Her war. Von Bemühungen, herauszufinden, was die Ursachen sind, bis hin zur versuchten Zerstörung des Erforschten, alles kann man finden.

Dienlich waren der Legasthenieforschung, als diese sehr weit gediehen war, jene Pseudogelehrten gerade nicht, die plötzlich behaupteten, so etwas wie Legasthenie gäbe es nur in den Köpfen reicher Leute, die diese Bezeichnung als Ausrede für ihre dummen Kinder gebrauchten. Die Folge war eine große Verunsicherung vor allem bei Pädagogen oder Lehrern, die ja unmittelbar mit diesen besonderen Kindern in der Klasse zu tun hatten oder haben.

Und besondere Kinder sind legasthene oder dyskalkule Kinder allemal, das lässt sich tatsächlich behaupten, je mehr man mit diesen zu tun hat. Wenn man dann schon mit so vielen sehr eng zusammengearbeitet hat, wird die Bewunderung für ihre besondere Wahrnehmung und ihre umfassende Denkweise immer größer.

Trotzdem kann man im Zusammenhang mit Legasthenie von einer Problematik sprechen. Meistens werden diese hochbegabten Kinder von ihrer Umwelt völlig falsch verstanden, und dies führt nicht selten früher oder später zu großen Problemen innerhalb der Familie, aber auch vor allem in der Schule. Anfangs kann man bei einer Legasthenie oder Dyskalkulie nie von einem Krankheitsbild sprechen. Die Beobachtung zeigt, dass das Kind mit einer Primärlegasthenie oder -dyskalkulie (als Primärlegasthenie oder -dyskalkulie bezeichnet man die Problematik, wenn ein intelligenter Mensch das Schreiben, Lesen oder Rechnen mit den üblichen Schulmethoden nicht oder nur sehr langsam erlernt, ohne dass psychische oder physische Auffälligkeiten daran beteiligt sind oder sogar verursachend sind), wenn es auf gute Voraussetzungen trifft – z.B. auf einen Pädagogen, und auf den trifft es immer vor dem Psychologen oder dem Psychiater, welcher sich des Problems der Legasthenie oder Dyskalkulie bewusst ist und den Anforderungen des Kindes Genüge tut – nie zu einem Problemkind wird. Leider ist die Praxis eine andere.

Oftmals hat unsere Gesellschaft verhaltensauffällige Kinder geschaffen, für die sich aber keiner mehr zuständig fühlt. Hat man einer Legasthenie oder einer Dyskalkulie ein psychisches Problem aufgepflanzt, ist dieses wesentlich schwieriger zu bewältigen als die Legasthenie oder Dyskalkulie selbst. Dabei wäre es so leicht, auch diesen Kindern das Lesen, Schreiben oder Rechnen beizubringen. Denn wer behauptet, legasthenen oder dyskalkulen Kindern könnte man diese Kulturtechniken nicht beibringen, der irrt. Sie bräuchten nur Lehrmethoden, die ihrer besonderen Lernfähigkeit entgegenkommen, die ihnen z.B. alles bildlich und dreidimensional bringen, mehr Vertiefung als gewöhnlich, mehr Zeit und viel Lob.

Um nochmals auf den Begriff Legasthenie zurückzukommen, soll hier nur dazu bemerkt werden, dass mit diesem Ausdruck, mit dieser Bezeichnung, nicht die umfassende Problematik dieses Phänomens bedacht wird. Da es aber existiert, und wie immer man dies auch nennen möchte, ob differente Wahrnehmung, Lernstörung, Teilleistungsprobleme, um nur einige zu nennen, so ist doch immer das Problem eines Menschen damit gemeint, der es verdient, von uns anderen 85% der Menschen verstanden zu werden, und der schließlich auch ein Recht darauf hat.

Wichtig wäre es, doch davon Abstand zu nehmen, bei einer Legasthenie oder Dyskalkulie ohne Sekundärproblematik, der sogenannten Primärlegasthenie oder -dyskalkulie – es verstärken keine psychischen oder physischen Probleme die genetische Veranlagung, lediglich verlangen diese Menschen beim Erlernen des Schreibens, Lesens und Rechnens nach einer auf ihre besondere Lernfähigkeit abgestimmten Methodik – ständig von Störung, Schwäche, Krankheit oder gar Behinderung zu sprechen. Eine nicht rechtzeitig erkannte Legasthenie oder Dyskalkulie und die damit zusammenhängende ständige schulische Überforderung kann auch zu Sekundärproblemen führen. 15 Prozent der Weltbevölkerung als „schwach“ oder „gestört“ zu bezeichnen, ist nicht legitim und äußerst vermessen.

BEITRAG AUS „DER LEGASTHENE MENSCH“   ISBN 978-3-902657-08-4 KLL VERLAG MÄRZ 2010

 

Welche Leselernmethode hilft?

Folgende Email erhielt ich:

Noch immer bin ich auf der Suche nach einer geeigneten Leselernmethode für meinen legasthenen Sohn. Wir haben schon so viel ausprobiert, aber es will einfach nicht so recht klappen. Schon beim Zusammenlauten macht er Fehler, errät dann ganze Wörter. Ich kann einfach keine Fortschritte erkennen.

Ich antwortete:

Leider gibt es „die“ Leselernmethode, die in jedem Falle hilft nicht. Damit das Zusammenlauten gelingt, müssen auch die dafür verantwortlichen Sinneswahrnehmungen geschult werden. Das passiert nur durch ein gezieltes und ausreichendes Sinneswahrnehmungstraining. Auch die Schulung der Aufmerksamkeit, wie Sie wissen, ist entscheidend. Ist ein legasthenes Kind beim Lesen mit den Gedanken nicht anwesend, so kann es auch die Buchstaben und Worte nicht oder nur teilweise erkennen. Auch die Leseschablone ist nicht in jedem Falle eine Hilfe, dies wäre zu schön, um wahr zu sein. Leseansätze gibt es so viele, man muss bei manchen Kindern lange ausprobieren, doch schließlich habe ich noch keinen Fall erlebt, wo sich nicht früher oder später etwas getan hat, wenn man Gesagtes beachtet hat und natürlich unter der Voraussetzung, dass kognitive Probleme ausgeschlossen sind. Jede Methode bringt Vor- und Nachteile in bestimmten Fällen. Seien Sie aber geduldig und versuchen Sie auch kleine Fortschritte zu erkennen.

Schnelle und praktische Hilfe ist notwendig

Der Erste Österreichische Dachverband Legasthenie setzt Schwerpunkte, den Betroffenen zu helfen. Wir jammern nicht und verbrauchen unsere Arbeitskraft auch nicht damit, die Arbeit von anderen Personen oder Organisationen, die sich der Thematik widmen, zu kritisieren.

Wir stellen gemeinnützig Informations- und Arbeitsmaterialien gratis zur Verfügung und sorgen mit unserer qualitativ hochwertigen Ausbildung dafür, dass Spezialisten den Betroffenen speziell auf der so wichtigen pädagogisch-didaktischen Ebene helfen. Wir vertreten auch den Standpunkt, dass man unbedingt die verschiedenen Interventionsebenen erkennen und auseinanderhalten sollte, damit der Betroffene die Hilfe bekommt, die er auch benötigt. Die Hilfe bei Schreib-, Lese- und/oder Rechenproblemen muss in jedem Fall zuerst auf pädagogisch-didaktischer Ebene erfolgen. Wir lehnen eine Pathologisierung der Problematik ab. Nicht jedes legasthene Kind benötigt die Intervention durch Psychologen, Ärzte, etc.

Das Bundesministerium für Gesundheit und der Erste Österreichische Dachverband Legasthenie sind der Meinung, dass man Spezialisten, die auf pädagogisch-didaktischer Ebene mit Betroffenen arbeiten, auf keinen Fall als Therapeuten zu bezeichnen sind.

Bundesministerium

Wir legen großen Wert darauf und gehen so konform mit der Ansicht des Bundesministeriums für Gesundheit, dass unsere Spezialisten, die Betroffenen helfen, das Schreiben und Lesen zu erlernen, nicht als Therapeuten bezeichnet werden sollten.

Diese Bezeichnung wäre irreführend und verunsichernd für Eltern, Betroffene und Lehrer, etc. und sollte ausschließlich Gesundheitsberufen vorbehalten bleiben, die legasthenen Kindern helfen, die etwaige Sekundärproblematiken, die sie im physischen oder psychischen Bereich aufweisen, zu bewältigen. Denn zurecht fragen sich Laien, wenn ein legasthenes Kind von einem Angehörigen eines Gesundheitsberufes therapiert wird, ob das Kind nun doch krank ist. Tatsächlich benötigen nur ein geringer Prozentsatz von legasthenen/dyskalkulen Kindern eine zusätzliche Hilfe durch Angehörige von Gesundheitsberufen.

Vorrangig bleibt immer die richtige Methode anzuwenden, damit ein Mensch das Schreiben, Lesen und Rechnen erlernt und das ist einzig und alleine die Aufgabe von Pädagogen.

Zur entscheidenden Rolle der Eltern für den Erfolg der Kinder

Eltern, die durch den Spezialisten ausreichend über die Legasthenie und Dyskalkulie informiert worden sind, fällt es leichter, mit der Problematik umzugehen. Menschen, die auf eine Verbesserung hoffen, sind automatisch positiv eingestellt und übertragen dies auch auf die Kinder. Fehlt die positive Einstellung der Eltern, nicht nur zur Legasthenie/Dyskalkulie des Kindes – das Bewusstsein, etwas gegen die Problematik tun zu können – sondern auch zum Aufwand eines Trainings, wird der beste Spezialist mit seinen Bemühungen scheitern.

„Mein Trainingskind war so voller Freude, als seine Mutter ihn abholte, er strahlte und zeigte ihr mit Stolz sein Arbeitsergebnis sowie die von mir erhaltene Belohnung, die Buchstabenkekse. Ich sagte seiner Mutter, dass er fleißig und äußerst lernwillig war, und dass vieles verbessert werden kann. So gingen wir auseinander. Auch seine Mutter war froh, dass er kommen darf und ich mich um ihn annehme. Doch am nächsten Tag rief sie an, dass mein Trainingskind nicht mehr kommen werde, weil sein Vater es nicht will. Er sagte, dass sein Kind nur faul wäre, die Mutter auch nur zu bequem wäre, um eine Verbesserung zu erreichen. Weiter meinte er, dass es auch bei ihr so klappen müsste, wie bei mir.“ Menschen, die keinen Einblick in ein gezieltes, individuelles Training haben, können natürlich auch nicht beurteilen, welch weitreichendes Einfühlungsvermögen und Wissen um die individuellen Anforderungen, die jedes legasthene Kind stellt, damit auch die gewünschten Erfolge passieren, notwendig sind. Die Hilflosigkeit, mit der man als Trainer solchen Situationen gegenübersteht, ist zuweilen wirklich frustrierend. Jeder, der mit Kindern arbeitet, erlebt oftmals unglaublich viel Freude und dieses Glücksgefühl ist unbeschreiblich, etwas erreicht zu haben, was anderen nicht gelungen ist, und man damit entscheidend zur positiven Entwicklung des Kindes betragen hat. Leider gibt es auch die Gegenseite dazu, Menschen zerstören unsere Arbeit, meistens gar nicht bewusst, sondern einfach aus Unwissenheit oder Uneinsichtigkeit, etc. So schlimm dies für die Betroffenen ist, so muss man lernen, damit zu leben. Alles, was man versuchen kann, ist aufklärend und erklärend zu wirken, aber nicht immer trägt dies auch Früchte, leider. Jedem Trainer, dem das Wohl der Kinder am Herzen liegt, gehen solche Fälle auch immer besonders nahe und doch ist es manchmal mit allem Einsatz nicht möglich, die Situation zu ändern und für das Kind zu verbessern.