Der ICD-10 oder wo das Unheil für viele legasthene/LRS/dyskalkule Kinder beginnt…

Der ICD10 ist eine internationale Klassifikation von Diagnosen für den medizinischen Bereich. Gemäß der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen wird zwischen der Lese-Rechtschreibstörung (F81.0), der isolierten Rechtschreibstörung (F81.1) und einer kombinierten Störung schulischer Fertigkeiten (F81.3) unterschieden.

Es ist irreführend für Uninformierte und gleichzeitig in der allgemeinen Arbeit mit betroffenen Kindern sehr hinderlich, dass die Legasthenie, die LRS und die Dyskalkulie im ICD 10 von der Weltgesundheitsorganisation als Krankheiten definiert werden. 15% der Weltbevölkerung haben beim Erlernen des Schreibens, Lesens oder Rechnens Probleme und sind deshalb aber nicht schwach, gestört, krank oder gar behindert.

Die ICD-10 Formulierung ist tatsächlich nicht nur eine unzureichende für die Problematik, weil sie die pädagogische Notwendigkeit der Intervention völlig außer Acht lässt, sondern grundsätzlich eine sehr unglückliche, weil sie von vorn herein ausschließt, dass es auch Kinder gibt, die beim Erlernen des Schreibens, Lesens oder Rechnens mit den üblichen in der Schule angebotenen Methoden nicht das Auslangen finden und trotzdem nicht schwach, gestört, krank oder behindert sind. Dazu muss man wissen, dass kein Pädagoge seinerzeit mitgearbeitet hat oder auch nur befragt wurde, als Probleme beim Erlernen des Schreibens, Lesens und/oder Rechnens als Krankheiten definiert worden sind. Deshalb zielt auch heute noch alles auf Schwäche, Störung und Krankheit hin, weil nur Psychologen und Mediziner sich zu der Thematik geäußert haben. Darunter haben noch heute so viele Kinder zu leiden. Viele Kinder erhalten auch deshalb keine oder viel zu späte Hilfe, weil die Eltern befürchten, dass ihr Kind schwach, gestört, krank oder behindert ist, nur weil es mit den üblich angebotenen Methoden Schwierigkeiten beim Schreiben, Lesen oder Rechnen hat und deshalb werden keine Maßnahmen ergriffen.

Tatsächlich zahlt für die pädagogisch-didaktischen Interventionen im Falle einer Primärlegasthenie, das ist eine Legasthenie ohne Sekundärerscheinungen, keine Krankenkasse in Deutschland oder Österreich. Bezahlt wird erst dann, wenn das Kind psychische Auffälligkeiten bekommen hat, weil die Umgebung nicht rechtzeitig eingeschritten ist und erkannt hat, dass spezielle pädagogisch-didaktische Hilfe notwendig ist, um das Schreiben, Lesen und Rechnen zu erlernen. Dann werden aber auch nicht pädagogisch-didaktische Schritte bezahlt, sondern nur der Psychologe oder Mediziner. Bewusst wird nun hoffentlich, welche großen Hürden noch zu überwinden sein werden, damit die Kinder tatsächlich nicht nur rechtzeitig erkannt, sondern auch so gefördert werden, wie sie es benötigen. Gegen eine Veränderung aber laufen gewisse Interessensgruppen Sturm, denn sie wollen die über lange Zeit gesicherten Pfründe nicht so einfach aus den Händen geben.
Tatsächlich ist die Legasthenie selbst keine Krankheit, mit ihr können aber natürlich Krankheiten einhergehen, nicht nur seelische, sondern auch physische. Die Praxis zeigt aber, dass es tatsächlich viele Kinder gibt, die keine weiteren psychischen oder physischen Probleme aufweisen, als dass sie gezielte Hilfe auf pädagogisch-didaktischer Basis benötigen und die gehören sicherlich nicht in die Hände von Psychologen oder Medizinern, sondern in die von gezielt geschulten Pädagogen. Um eine Tatsache werden wir auch in Zukunft nicht herum kommen, nämlich, dass keine psychologische oder medizinische Intervention den Kindern tatsächlich das Schreiben, Lesen oder Rechnen vermitteln wird können.

Es ist notwendig immer wieder zu erklären, dass die pädagogisch-didaktische Ebene so wichtig für Kinder ist, die eine Legasthenie, LRS oder Dyskalkulie haben, um anhaltende Erfolge zu erzielen, weil den meisten Menschen dies gar nicht bewusst ist. Dazu kann nur ein Pädagoge beitragen, kein Psychologe oder Mediziner kann auf diesem Gebiet das leisten, was das Kind benötigt.

Legasthene und dyskalkule Menschen haben eine andere Lernfähigkeit und Informationsverarbeitung!

Das Thema wurde schon oft angesprochen, doch man kann es wohl nicht oft genug wiederholen, weil es für die Betroffenen von so großer Relevanz ist!
Diplomierte Legasthenietrainer und diplomierte Dyskalkulietrainer arbeiten auf pädagogisch-didaktischer Ebene. Gegen die Verwendung des Wortes “Therapeut” im Zusammenhang mit einer pädagogisch-didaktischen Hilfe durch Pädagogen bei Schreib-, Lese- und Rechenproblemen stellt sich nicht nur das österreichische Gesundheitsministerium sondern auch der Berufsverband der diplomierten Legasthenietrainer und diplomierten Dyskalkulietrainer, der Erste Österreichische Dachverband Legasthenie. Die Bezeichnung Therapeut ist in Österreich lediglich den Gesundheitsberufen vorbehalten und nicht für die Verwendung im pädagogisch-didaktischen Bereich gedacht. Unser Verband bemüht sich sehr, diese beiden Ebenen auseinanderzuhalten und betont immer wieder die Relevanz der Pädagogen und ihrer Arbeit und lehnt die komplette Pathologisierung der gesamten Problematik, wie sie vor allem durch die ICD-10 gerechtfertigt scheint, wo man Schreib-, Lese- und Rechenschwierigkeiten als Krankheit bezeichnet, ab. Diese Definition ist eine der Gesundheitsebene und lässt eine Feststellung und auch eine Intervention durch die pädagogische Ebene völlig außer Acht. Deshalb kann sie auch aus der Sicht der Pädagogen nur als eine völlig unzureichende Definition angesehen werden.

Legasthenie oder auch die Dyskalkulie haben ihre Verursachung in biogenetischen Faktoren, die dazu beitragen, dass es zu Schwierigkeiten beim Erlernen des Schreibens, Lesens und Rechens kommen kann. Diese Schwierigkeiten können aber auch durch psychische oder physische Verursachungen entstehen, nur dann sind neben einer pädagogisch-didaktischen Hilfe auch Interventionen durch Gesundheitsberufe gerechtfertigt. Schreiben, Lesen und Rechnen lehrt eben nur der Pädagoge! Sind aber tatsächlich psychische oder physische Problematiken, wie schon erwähnt, als Verursachung vorhanden, also eine Lese-Rechtschreibschwäche oder eine Rechenschwäche zu vermuten muss natürlich auch die Gesundheitsebene in die Gesamtförderung einbezogen werden. In der Praxis ist es aber tatsächlich so, dass die Fälle, wo Interventionen durch Gesundheitsberufe notwendig werden, eher die selteneren sind.
Legasthene/dyskalkule Kinder benötigen lediglich über das gängige Schulangebot hinausgehend individuelle pädagogisch-didaktische Unterstützung. Man geht davon aus, dass davon ca. 15% der Weltbevölkerung betroffen sind. All diese Menschen als schwach, gestört, krank oder gar behindert zu bezeichnen, ist in keinster Weise gerechtfertigt, weil legasthene und dyskalkule Menschen lediglich eine andere Lernfähigkeit und Informationsverarbeitung haben und mit geeigneten Methoden auch das Schreiben, Lesen und Rechnen erlernen können!

Die Geringschätzung, der man zumal begegnet, bezüglich der notwendigen Intervention durch speziell ausgebildete Pädagogen und der gleichzeitig in den Vordergrund drängenden Gesundheitsberufe ist nicht besonders erbaulich, weil es leider zu oft dazu führt, dass Kinder mit Schreib-, Lese- oder Rechenproblemen zwar allerlei “Therapien” erhalten, jedoch nicht den notwendigen pädagogisch-didaktischen Ansatz, ohne den es keine anhaltenden Erfolge geben kann.